Den Anweisungen getreu
27. 9. 2002
Eindrücke eines Opern-Kenners vom Mindener "Holländer"


Begegnung zweier Seeleute auf schwankenden Stegen: Daland (Randall Jakobsch) und der Holländer (Urban Malmberg). MT-d-Foto: Manfred Otto

Von Udo Stephan Köhne

Minden (usk). Eingefleischten Wagnerianern wird gerne nachgesagt, dass sie die Werke des von ihnen verehrten Meisters am liebsten mit größtmöglicher Werktreue realisiert sehen wollen. Man wünsche in diesen Kreisen keine umstürzlerischen Neudeutungen, sondern das In- Szene-Setzen nach des Komponisten Regieanweisungen, wird häufig kolportiert.

Aggressives Abwehren jedes Anflugs von so genanntem Regie-Theater, lautet die Devise. Solcherart indoktrinierte Wagneranhänger dürften mit der Mindener Neuinszenierung des Fliegenden Holländer ihre wahre Freude haben. Zwar lässt Regisseur Holger Müller-Brandes die Geschichte im Heute und Jetzt spielen; aber diesen Fehltritt entschuldigt er mit einer beinahe heiligen Treue zum Detail. Denn auch in Minden fehlt es trotz eingeschränktem Platzangebot für szenische Aktion nicht an viel Tauwerk und wabernden Nebelschwaden, fehlt es nicht an Rampensingen und szenischer Aktionslosigkeit in der Szene zwischen Holländer und Senta.

So genau, dass man es kaum zu glauben wagt, ist das Libretto umgesetzt. In welcher Aufführung sieht man das "gülden Band", von dem der Steuermann singt? Und wann ist die Holländer-Stimme im zweiten Akt wirklich "wie aus der Ferne" (im Stadttheater steht der Sänger noch hinter dem Orchester) zu vernehmen? Alles im Lot also, der Holländer krabbelt anweisungsgetreu mühselig ans Ufer und hat jene "bleiche Miene", die wir selbstverständlich erwarten. Selbst Sentas Sturz vom Felsen (hier in den Orchestergraben), sonst nur noch in Parodien zu erleben, findet statt; die Wagner-Seele ist beruhigt. Auch darüber, dass sich die Regie einer Interpretation weitgehend enthält.

Die Geschichte wird mit genau den bescheidenen Mitteln erzählt, die die Mindener Verhältnisse zulassen. Die Helden krümmen sich, was das Zeug hält, und immer wieder wird mit der Pistole kräftig herumgefuchtelt. Aber eine wirklich richtungsweisende Deutung wird dem Zuschauer nicht aufgezwängt.

Spritziges Orchester

Der Wagnerianer findet das prima. Auch die musikalische Seite? Und den Umstand, dass die Musik in ihrer ganzen Plastizität und Sprengkraft in den Zuschauerraum geschleudert wird? Viele lieben den Bayreuther Komponisten dräuender, schwergewichtiger, eben mythischer. Die fabelhaft aufgelegte Nordwestdeutsche Philharmonie unter Frank Beermann aber verweigert sich über weite Strecken dem Pathos. Spritzig und feurig ist, was von der Bühne tönt. Und lässt doch an entsprechenden Stellen nichts an Würde und Tiefgang vermissen. Frank Beermann gliedert und strukturiert das Ganze zudem mit immenser Übersicht.

Unheldisch bestückt ist das Sängerensemble. Junge, schlanke, unverbrauchte Stimmen geben den Ton an. Natürlich ist die Senta für Katja Beer eine Nummer zu groß. Und auch für Urban Malmberg ist der Holländer eine Grenzpartie; nur dass Malmberg eben mit den Grenzüberschreitungen besser umgehen kann. Ein Trumpf der Aufführung ist Edward Randalls Erik, der seinen baritonal grundierten Tenor in vollem Glanze erstrahlen lässt. Randall Jakobsch gibt dazu einen sängerisch absolut untadeligen, manchmal fast zu abgeklärten Daland.

Die beiden kleinen Partien sind mit Clemens C.Löschmann und Daniela Strothmann geradezu verschwenderisch besetzt. Der Opernchor Sofia schließlich gestaltet mit hoher Souveränität, auch wenn sein slawisches Idiom hin und wieder durchschimmert. Fulminant ist deshalb der dritte Akt, gar nicht von lastender Schwere. Ist das noch unser geliebter Richard? Das Premierenpublikum meinte ja.

Die weiteren Aufführungen am 1., 3., 5., 6. und 10. Oktober sind ausverkauft. Nach Auskunft von Theaterleiter Bertram Schulte gibt es aber an der Abendkasse noch die Chance zurückgegebene Einzelkarten zu bekommen. Am 13. Oktober um 19 Uhr gibt es noch eine Vorstellung im Stadttheater Herford (nicht mit dem kompletten Bühnenbild), Theaterkasse 052 21 / 50 007

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Richard Wagner Verband Minden 2002