Opernerlebnis hautnah
27. 9. 2002
Eindrücke einer Erstbegegnung mit einer Wagner-Oper


Ohne große Gesten kommen die Darsteller in der Mindener "Holländer"-Inszenierung aus, wie in dieser Szene Senta (Katja Beer), die voller Sehnsucht sein Bildnis betrachtet.

Von Ursula Koch

Minden (mt). Ein hautnahes Erlebnis bietet die Mindener Inszenierung von Richard Wagners Oper "Der fliegende Holländer", die am Samstag im Stadttheater Premiere hatte.

Regisseur Holger-Müller lässt die Darsteller häufig auf einer Brücke, die über den Orchestergraben gespannt ist, agieren und damit quasi in Reichweite der ersten Zuschauerreihe. Die Matrosen turnen gar waghalsig auf der Balustrade zum Zuschauerraum herum. "Ich hatte schon Angst, dass mir einer der Matrosen in den Schoß fällt", bemerkte eine Zuschauerin in der Pause.

Dabei ist die Idee für das schlichte, aber effektvolle, Bühnenbild von Hans-Peter Korth (von Michael Kohlhagen geschickt ins rechte Licht gerückt) aus einer Not heraus entstanden. Der Orchestergraben ist zu klein für ein großes Orchester. Musikalisch sollten aber keine Abstriche gemacht werden. Darum mussten die Musiker der NWD und der Opernchor aus Sofia mit auf die Bühne, nehmen nun den meisten Platz ein.

Dafür lässt Korth aus dem Orchestergraben einen Mast schräg empor ragen, der durch einen Steg mit der Seitenloge im ersten Rang verbunden ist. Ein weiterer schräg verlaufender Steg ragt von der rechten Seite her über die Bühne. Er ist an zwei Drahtseilen an einem schmaleren Mast aufgehängt - gibt damit eine Ahnung von Segeln. Und schließlich führt eine Brücke von der Bühne über den Orchestergraben auf den Zuschauerraum zu.

Holger Müller-Brandes holt die mystische Geschichte von dem Seemann (fliegender Holländer), der seit Jahrhunderten dazu verdammt ist, rastlos die Meere zu befahren, nur durch ein Weib Erlösung finden kann, das sich aus Liebe für ihn opfert, durch kleine, geschickte Einsprengsel in die Gegenwart. Und er nutzt die durch das Bühnenbild angebotenen Spielorte geschickt. Die Matrosen Dalands (Randall Jakobsch) lässt er sich aus dem Graben empor schwingen. Der Steg hoch oben wird zum Ausguck des Steuermanns (Clemens C. Löschmann), der noch eine Treppe am Mast erklimmt und seine Arie hoch unter der Decke des Zuschauerraums singt. Auch der Holländer (Urban Malmberg) taucht aus der Tiefe auf.

In Gegenwart geholt

Bei Müller-Brandes ist Daland ein zwielichtiger Bursche mit Pistole im Gürtel. Um den Handel mit Daland zu besiegeln, der ihm seine Tochter Senta (Katja Beer) versprochen hat, zückt der Holländer ein Portemonnaie und bezahlt Daland mit Geldscheinen. Da mutet es fast eigentümlich an, wenn beide von Segelschiffen singen.

Die Spinnstube, in der Senta (Katja Beer) vom Holländer träumt, wird in Minden zur Nähstube. Die Amme Mary (Daniela Strothmann) überwacht das Geschehen vom darüber liegenden Steg. Und am Ende stürzt sich Senta von der Brücke in die Fluten, um schließlich nackt in einem Fischernetz zusammen mit dem Holländer von den Matrosen wieder empor gezogen zu werden. Damit löst Müller-Brandes sogar beinahe die Versprechungen des Plakatmotivs ein.

Die Kostüme von Sigrid Kaufhold unterstreichen die Verlagerung der mystischen Geschichte in die Gegenwart. Der Holländer trägt bei seinem ersten Auftritt eine Neopren-Jacke, während Daland über dem Anzug einen dunklen Trenchcoat trägt und damit einem Mafiosi gleicht. Sentas schlichtes Kleid ist von unschuldigem Weiß.

Große Gesten erlaubt der Regisseur den Sängern nicht. Allein mittels Mimik geben sie ihren Gefühlen Ausdruck und das gelingt Katja Beer und Urban Malmberg absolut überzeugend.

Der Bayreuther Festspielchef Wolfgang Wagner meinte nach der Premiere, dass er die Musiker eigentlich lieber im Orchestergraben sieht. Aber anders als in Dresden habe ihm in Minden die Platzierung des Orchesters auf der Bühne eingeleuchtet. "So wird die Musik visualisiert", lobt der 83-Jährige. Die NWD hat unter der Leitung von Frank Beermann damit ihre Visitenkarte als Opernorchester abgegeben. Vom Premierenpublikum gab es für das gesamte Team verdiente Bravo-Rufe.

Mit dem "Holländer" hat der Wegner-Verband tatsächlich eine gute Wahl getroffen, um ein jüngeres Publikum anzusprechen. Mich hat diese Inszenierung fasziniert und den Schrecken vor weiteren Wagner- Opern genommen.

copyright by mt-online.de


Richard Wagner Verband Minden 2002