Mindener Tageblatt | 8. Oktober 2005


„Ich bin ein schwerer dramatischer Tenor"

Tannhäuser-Darsteller John Charles Pierce im Porträt /
Amerikaner als Wagner-Interpret bekannt

Von Udo Stephan Köhne

Minden (usk). Die Behauptung, dass John Charles Pierce ein großer Sänger ist, stimmt. Egal ob man seine körperliche Statur oder die Zahl und Qualität seiner Verpflichtungen nimmt, sie bleibt wahr.


Regisseur Keith Warner (vorne rechts) probt mit
„Tannhäuser"-Darsteller John Charles Pierce (2. von links).
Foto: Theater

Und auch im Gespräch zeigt er Größe. Überlegte Antworten mit einem Schuss Humor versehen wirft der amerikanische Tenor, der im deutschsprachigen Raum hauptsächlich als Wagner-Sänger bekannt ist, in die Waagschale. In Keith Warners „Tannhäuser"-Inszenierung in Minden singt er die Titelpartie. „Ich wollte singen, ich wollte es erlernen und das habe ich dann getan", sagt er über seine frühen Jahre. „Meine Eltern sind beide Musiker und sie haben herausgefunden, dass ich eine schöne Stimme habe und Lust auf Gesang. Mit 15 haben sie mich zum Gesangsunterricht geschickt." Nach Studium und Wettbewerbserfolgen kam Pierce an das Staatstheater Cottbus, wo er die großen Partien seines Fachs sang.

Auf die Gattung Heldentenor will er sich allerdings nicht festlegen lassen. „Ich bin ein schwerer dramatischer Tenor, auf keinen Fall ein Rossini-Tenor", gibt er zu Protokoll. „Ich singe viel Peter Grimes, Tristan, Tannhäuser und Lohengrin." Zuletzt eroberte er sich den „Rheingold"-Loge und sang in Friedrich Cerhas „Rattenfänger"-Oper in Wien.

Über die praktische Seite der Tannhäuser-Partie merkt er an: „Sie ist lang und hoch und es ist viel Text zu merken." Die seelische Seite der Figur findet er spannend. Er sieht Tannhäuser als komplizierten Menschen im Gegensatz zu Tristan, der von Anfang an dem Sterben zugewandt ist. Pierce hat Dresdner und Pariser Fassung sowie Mischfassungen gesungen. „Alle Töne sind irgendwo im Hals drin."

Für die Pariser Fassung spreche die größere Rolle der Venus, die auch ihm mehr dagegen spielen ermögliche. „In der Dresdner Fassung ist sie eher die böse Göttin." Auf die Arbeit

mit Keith Warner angesprochen, erklärt Pierce, dass sie viel Spaß macht. „Sehr angenehm, überhaupt wahnsinnig tolle Ideen, die gut begründet sind und gut durchdacht. Nichts Bahnbrechendes in dem Sinne, nur dass es so exakt formuliert wird, finde ich angenehm. Diese Arbeit ist sehr konsequent." Gespannt ist er, ob die Lösung für Minden gut wird.

Pierce berichtet, dass er an anderen kleinen Häusern Wagner gesungen hat: „Auf der einen Seite wird das Orchester verkleinert, was auch der Musik nicht gut bekommt, aber ich habe auch schon das Orchester auf der Bühne erlebt. Da kann man den Wohlklang des Orchesters genießen und die Sänger gut hören. Ich finde das eine gute Lösung."

Gut findet er auch, eine Wagner-Oper hautnah wie in Minden an das Publikum zu bringen. „Wir als Künstler sind dann gezwungen, ganz ehrlich zu sein."

Seit einiger Zeit ist Pierce wieder in den Vereinigten Staaten. An der University of Michigan unterrichtet er Gesang, „jetzt schließt sich der Kreis. Ich gebe das, was ich gelernt habe, weiter." Augenzwinkernd merkt er noch an, dass unterrichten anstrengender sei als die Bühnentätigkeit. „Beim Singen brauche ich nur Stimme und Text, an der Universität auch mein Gehirn." Lacht, verabschiedet sich freundlich und verschwindet Richtung Bühne.

Rund um die Produktion des Mindener „Tannhäuser" wird es beim Stadtgespräch des Mindener Tageblatt am Sonntag, 23. Oktober, 11 Uhr, im Stadttheater Minden gehen. Eingeladen sind Stargäste aus dem Ensemble - zugesagt haben bereits John Pierce („Tannhäuser") und Anne Schwanewilms („Elisabeth") sowie Susanne Eisch. Auch viele von denen, die die Produktion auf die Bühne gebracht haben, werden dabei sein. Es gibt Szenen vom „Weißen Sonntag" zu sehen, Musik zu hören und - besonderer musikalischer Höhepunkt - der Chor der Richard-Wagner-Gesellschaft Sofia wird auftreten. Der Eintritt ist frei. Karten für diese Veranstaltung (maximal vier pro Person) gibt es bei express, Obermarktstraße 28 - 30, Telefon 0571 / 8 82 77 und beim Ticketservice, Domstraße 2, Telefon 05 717911 91 11.

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