Venus steigt aus dem Orchestergraben
Keith Warner inszeniert begeisternden "Tannhäuser" in Minden
VON REINHARD GÜNNEWIG
Minden. Ein ganz großes Wagnis, ein riskantes Unterfangen war es wohl nicht mehr. Dass sich im Mindener Stadttheater, auf der Bespielbühne eines spätbarocken Hauses ohne eigenes Ensemble und mit all seinen einschränkenden Gegebenheiten auch ganz große Oper produzieren lässt, war bereits vor drei Jahren mit dem "Fliegenden Holländer" nachdrücklich bewiesen worden. Die Erfahrungen von einst haben allen Beteiligten Mut gemacht und Kraft gegeben: Zum zweiten Mal wagte sich der örtliche Richard Wagner-Verband in Kooperation mit dem städtischen Theaterbetrieb und der Nordwestdeutschen Philharmonie (NWD) deshalb abermals an ein populäres Werk Wagners.
Die Premiere im ausverkauften Haus (auch alle folgenden Vorstellungen bis zum 9. November sind praktisch ausgebucht) bestätigte die Erkenntnis aus dem Projekt anno 2002. Dass sich auch abseits der renommierten Spielstätten exzellentes Musiktheater realisieren lässt, zeigte die in jeder Beziehung glanzvolle "Tannhäuser"-Inszenierung am vergangenen Freitag. Dafür sorgte vor allem der bayreutherfahrene Keith Warner, der aus London (dort hatte er am Covent Garden zuletzt den "Ring" herausgebracht) an die Weser gekommen war, angesichts der beengten Verhältnisse schmunzelnd seine Vorliebe fürs "Studententheater" bekannte und selbstverständlich alles aufbot, was die eigene Kunst und die Ressourcen in Minden hergaben.
Weil die Bühne wieder von der Nordwestdeutschen Philharmonie in Anspruch genommen wurde, blieb als Aktionsfläche nur ein teilweise überdachter Orchestergraben. Wo Weite und Breite fehlten, wurden Höhe und Tiefe genutzt. Venus (Chariklia Mavropoulou) steigt mitsamt der im Berg eingesperrten Sirenen und Nymphen aus dem Untergeschoss wie später auch das halbe Dutzend mittelalterlicher Liedermacher, die antreten, der "Liebe Wesen zu erkunden".
Susanne Eisch sitzt als junger Hirt auf der Treppe, die am Seitenbalkon endet. Auf gleicher Höhe gegenüber grüßen Langraf Hermann (Andreas Hörl von der Hamburger Staatsoper) und dessen Nichte Elisabeth, die in Anna Schwanewilms, jüngst gefeiert bei den Salzburger Festspielen, zur herausragenden Sängerin des Abends wurde. Warner, Bühnenbildner Jason Southgate und der international gefragte Lichtdesigner Wolfgang Göbbel agierten souverän mit den inszenatorischen und choreografischen Möglichkeiten.
Göbbel tauchte das Geschehen auf der Minibühne mal in bläulich-violette (Venusberg-Szene), grüne (Pilgerzug) oder herbstlich-braune Farbtöne (Heimkehr der Büßer). Vor dem Gaze-Vorhang, hinter dem die NWD unter der Leitung von Frank Beermann ihr überzeugendes "Tannhäuser"-Debüt gab, wurde eine Leinwand herab gelassen für die Video-Einspielung vom "Einzug der Gäste" in die "Sängerhalle". 500 weiß gewandete Mindener hatten Ende Juli im Parkett und den Rängen Platz genommen und sich dabei filmen lassen.
Das alles wirkte stimmig, überzeugend und vereinigte sich zu einer maßvoll modernen Inszenierung. Dazu kamen solistische Höhepunkte. Neben Schwanewilms strahlendem Sopran vor allem durch den Texaner Michael McCown (Oper Frankfurt) in der Partie des Walther von der Vogelweide. Ganz vorzüglich auch der Opernchor der Richard Wagner Gesellschaft Sofia und die jungen Damen aus dem Tanzprojekt des Mindener Ratsgymnasium.
Schließlich Ovationen für einen ganz großen Opern-Abend.
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