Das Wunder von Minden
Wagners 'Tannhäuser' in der Regie von Keith Warner
Kritik von Midou Grossmann
Applaus und Bravorufe wollten kein Ende nehmen. Die Premiere von Wagners ‚Tannhäuser’ im kleinen Stadttheater Minden, 560 Plätze, krönte ein Wagnis, das von vielen Musikkennern mit Skepsis beobachtet wurde. Große Oper im Kammertheater? Unmöglich! Doch das Wagnis gelang, weil es getragen wurde von dem ungeheuren Engagement aller Beteiligten. Neben den Künstlern, war eine ganze Stadt beteiligt, und Keith Warner sieht darin ein Symbol, dass es in Deutschland noch immer möglich ist, Kultur auf lokaler Ebene zu schaffen und zu genießen. Dies ist für ihn ein wirkliches Zeichen für die Lebenskraft einer Nation.
Produziert wurde das Opernspektakel vom Richard Wagner Verband Minden, dem Stadttheater Minden und der Nordwestddeutschen Philharmonie. Nachdem schon 2002 ‚Der Fliegende Holländer’ erfolgreich auf die Bühne gebracht wurde und viele Bürger der Stadt, im Besonderen auch Jugendliche, bei der Vorsitzenden des Wagner Verbands Jutta Hering-Winckler immer wieder anfragten, wann denn nun die nächste Wagneroper geplant sei, gab es grünes Licht für den ‚Tannhäuser’. Jutta Hering-Winckler, deren Großvater 1876, dem Jahr der Ring-Aufführungen, zu Fuß von Minden nach Bayreuth pilgerte, kontaktierte den bekannten englischen Regisseur Keith Warner. Der hatte große Lust auf eine Inszenierung, die, wie es im antiken Griechenland üblich war, zu einer Gesprächsplattform der Bevölkerung und einem Platz für Debatten und für gemeinsame Erfahrungen werden sollte. Also wurde die ganze Stadt eingebunden, vor allem auch die Jugend. Bei den Aufführungen wirkt nun eine Schülerinnengruppe des Ratsgymnasiums Minden im Tanzprojekt des Venusbergs als Nymphen und Sirenen mit (gespielt wird die Pariser Fassung). Dass dies alles hochprofessionell abläuft, dafür bürgt Keith Warner und sein exzellentes Team. Da das Haus über keinen Orchestergraben verfügt, sind die Musiker auf der Bühne platziert. Somit bleibt für die Handlung nur ein kleiner Raum, der aber von dem Bühnenbildner Jason Southgate genial zu einer eindrucksvollen Bühnenfläche umgewandelt wurde, die sogar eine gewisse Weite suggeriert. Integriert in das Bühnenbild sind auch zwei Logen, eine davon ist mit einer Treppe, auf der reger Verkehr herrscht, vom Bühnenraum aus erreichbar.
Keith Warner präsentiert unmittelbarstes hochwertiges Theater mit einer bestechenden Personenregie, ohne jegliche plumpe Aktualisierung an den Zeitgeist, das unter die Haut geht. Für die Lichtregie war ‚Altmeister’ Wolfgang Göbbel verantwortlich, und wie immer zauberte er auch in Minden geniale Lichtspiele in den Raum. Der ganz große Coup gelang mit dem Einzug der Gäste. Schon im Sommer wurde eine Videoszene gedreht, an der 400 Mindener Bürger teilnahmen. Weiß gekleidet zogen sie in den Zuschauerraum des Stadttheaters ein. Diese Szene, nun in der Vorstellung auf eine Gazewand vor dem Orchester projiziert, erzielte eine enorme Wirkung.
Auch der musikalische Teil war festspielwürdig. Allen voran John Charles Pierce in der Titelrolle. Ausdrucksstark als Schauspieler, kann er auch gesanglich trumpfen. Sein schön timbrierter Tenor besitzt eine große Flexibilität und sein Gesang beweist einmal mehr, dass Belkanto und Wortverständlichkeit bei Wagner zu vereinen sind. Die Romerzählung wurde selten so nuanciert und ergreifend gesungen. Dies gilt auch für die Elisabeth von Anne Schanewilms. Mit einer klaren Diktion und Spitzentönen, die eine überirdische Dimension beinhalten, setzt sie Maßstäbe. Das Gebet ein Höhepunkt, auch darstellerisch. Chariklia Mavropoulou (Venus) beeindruckte mit einer großen Stimme, dunkler Mittellage und kräftiger Höhe sowie einer starken Bühnenpräsenz. Der Landgraf von Andreas Hörl ließ großes Talent erkennen, das sicherlich demnächst international auf sich aufmerksam machen wird. Heiko Trinsinger (Wolfram von Eschbach) ebenfalls gut, gleichwohl die Stimme doch noch etwas eindimensional klingt, etwas mehr Gefühl wäre für die Rolle angebracht gewesen. Michael McCown (Walter von der Vogelweide) und Frank Blees (Biterolf) ergänzen das Ensemble mit gutem Gesang. Erwähnenswert auch der Hirt von der Mindenerin Susanne Eisch. Der Chor der Richard Wagner Gesellschaft Sofia, Chorleiter Hristo Stoev, meisterte die schweren Anforderungen sehr ordentlich.
Die Nordwestdeutsche Philharmonie, am Pult Frank Beerman, musizierte fließend und spannend. Etwas mehr Gestaltungsdynamik hätte sicherlich die Klangsprache gelegentlich intensivieren können, doch der Klangkörper bewies, dass er auch mit großer Oper überzeugen kann.
Der Mindener ‚Tannhäuser’ könnte für viele Opernhäuser ein Lehrstück sein, was künstlerisches Engagement, menschliches Miteinander und Hingabe an eine große Idee betrifft. In Zeiten des gesellschaftlichen Umbruchs und immer größer werdenden Kürzungen im Kulturbereich, sollte das Mindener Opernprojekt nicht in die Ecke ‚Provinztheater’ abgeschoben werden.
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