Wer viel geliebt...
Hans-Peter Minetti und der Tannhäuser-Stoff
Von Ralf Kapries
Minden (pri). Der Schauspieler Hans-Peter Minetti, der nach eigenen Worten „dem Tannhäuser" verfallen ist, führte am Samstagabend im Theater im Cafe (TiC) seine Gäste durch 800 Jahre Rezeptionsgeschichte, beginnend mit Tannhäuser selbst, bis zur Verwendung der Tannhäuser-Legende als Vorlage für Richard Wagner gleichnamiges Opernwerk sowie spätere Äußerungen über den Minnesänger und die Tradierung seines Schaffens in der Literatur.
Dabei ließ Minetti vor allem die Angesprochenen selbst zu Wort kommen, indem er aus deren Texten rezitierte. Tannhäuser, der etwa von 1205 bis 1270 lebte, ist nach Minettis Einschätzung kein „reiner" Minnesänger mehr, der lediglich züchtig die „hohe Minne" preist, vielmehr sei seine Dichtung bereits reich an erotischen Elementen, was der Mime mit Texten illustrierte, die er sowohl mittelhochdeutsch als auch neuhochdeutsch rezitierte. Immer wieder schlägt die Stimmung in Tannhäusers Texten auf unerklärliche Weise um und so resümiert er: „Die Minne ist ein gar schweres Spiel."
Verstreute Blätter der Tannhäuser-Dichtungen bilden so den schriftlichen Strang der Überlieferung. Sie erfreuten sich jedoch auch mündlicher Verbreitung, innerhalb derer sich die Legendenbildung vollzog. Tannhäusers Schilderungen der Liebesfreuden führen zu der Legende, er habe sieben Jahre im Venusberg zugebracht, sei sich dann seiner Sünden bewusst geworden und nach Rom zu Papst Urban IV gepilgert um Vergebung zu empfangen. Dieser jedoch habe sich geweigert und auf einen dürren Zweig verwiesen: „Eher würde dieser
Zweig noch einmal grün werden, als dass Tannhäuser Vergebung erlangen könne." Tannhäuser sei darauf enttäuscht zu Frau Venus zurückgegangen. Der Zweig sei jedoch ausgeschlagen und Urban habe seinen Fehler erkannt. Minetti trug dies in einer um 1500 entstandenen Fassung vor.
400 Jahre später lässt Heinrich Heine den zurückgekehrten Tannhäuser Frau Venus von seiner Rückreise berichten. Wie bei Heine üblich, ist diese Darstellung nicht frei von bissigen Anmerkungen über die besuchten Städte und Stätten. Das betreffende Erzählgedicht wurde 1837 erstmals in Paris veröffentlicht, wo sich Heine und Richard Wagner als Exilanten begegneten.
Man könne nach Minettis Meinung ziemlich sicher sein, dass Wagner durch Heine auf den Tannhäuserstoff aufmerksam geworden sei, auch wenn dieser später - nach seinem Zerwürfnis mit Heine - stets behauptete, den Tannhäuserstoff in einem alten Volksbuch gefunden zu haben. Ein solches Buch - so der studierte Germanist - existiere jedoch nicht.
Charles Baudelaire beschreibt Wagners Tannhäuser -später von Johann Nepomuk Nestroy bissig parodiert - als Kampf zwischen Geist und Fleisch, was Wagnergattin Cosima später zur „im Musikalischen angestrebten Vereinigung zwischen sinnlicher und übersinnlicher Liebe" stilisiert. Worüber Thomas Mann noch als ein in Deutschland leider oft übliches „verzeihliches Changieren" zwischen Brunst und Inbrunst meditiert, wird im ausgehenden 19. Jahrhundert etwa bei dem sich selbst an „Panerotiker" bezeichnenden Richard Dehmel in „Venus consolatrix" ins Religiöse überhöht. So wird die heilige Maria als eigentliches Objekt von Tannhäusers Begierde dargestellt und versöhnlich resümiert: „Wer viel geliebt, dem wird auch viel vergeben."
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