Die WalkÜre / Handlung
Das Wagner Kompendium, Barry MillingtonEntstehung
Die ersten musikalischen Skizzen für Die Walküre stammen vom Sommer 1852 und enthalten eine frühe Fassung von Siegmunds Lenzeslied. Der erste Gesamtentwurf wurde zwischen dem 28. Juni und dem 27. Dezember 1854 angefertigt. Anders als der vergleichbare Entwurf für Das Rheingold, der aus einem vokalen und einem instrumentalen Notensystem bestand, ist der für Die Walküre etwas genauer orchestriert, oft mit einem Notensystem für den Gesang und zweien für die Instrumente. Trotz der Schwierigkeiten - durch die vielen Verzögerungen und Unterbrechungen -, die die Ausarbeitung dieses Entwurfs zur Partitur beeinträchtigten, hielt es Wagner nicht für notwendig, einen zweiten Entwurf wie für Das Rheingold zu machen, da er nunmehr mit der erweiterten Orchesterbesetzung vertraut war. Stattdessen machte er sich direkt an einen Partiturentwurf (Januar 1855 bis 20. März 1856); die Reinschrift entstand parallel dazu zwischen dem 14. Juli 1855 und dem 23. März 1856.
Musikalischer Stil
Während im Rheingold die Strenge, mit der Wagner seine theoretischen Prinzipien anwandte, bisweilen zu banalen Melodielinien führte, gelang es ihm in der Walküre, Text und Musik ohne solche Opfer gleichrangig zu behandeln. Insbesondere im ersten Aufzug demonstriert Wagner seine musikalisch-dichterische Synthese hervorragend: Der Text wird unter Wahrung seiner natürlichen Betonung mit einer Melodie kombiniert, die jede Bedeutungsnuance erfasst und doch musikalischen Eigenwert besitzt. Der zweite und dritte Aufzug sind nicht weniger meisterhaft konzipiert, auch wenn es hier schon deutliche Anzeichen für Wagners spätere Abkehr von der absoluten Gleichberechtigung zwischen Dichtung und Musik gibt. Die Begegnung mit der Philosophie Schopenhauers - der die Musik über alle anderen Kunstformen erhob - genau zu diesem Zeitpunkt mag in hohem Maße für diese Verschiebung verantwortlich gewesen sein.
In der zweiten Szene des zweiten Aufzugs kommt eine von Wagners großen Erzählungen vor: Wotans Rückbesinnung »Als junger Liebe Lust mir verblich«. Es wird oft behauptet, dass solche Erzählungen von Zurückliegendem zunächst dadurch motiviert waren, dass Wagner den Zyklus »von hinten« entwarf, und durch den Fortgang der Arbeit eigentlich überflüssig wurden. Dies lässt jedoch die Bedeutung außeracht, die Wagner dem Narrativen beimaß: Das griechische Theater war schließlich einer der Vorläufer des Musikdramas. Solche Erzählungen dafür zu kritisieren, dass sie die Handlung aufhalten oder etwas wiederholen, was wir, das Publikum, bereits wissen, geht am Wesentlichen vorbei. Strenggenommen bietet keine Geschichte oder Oper, die mehr als einmal erzählt bzw. gespielt wurde, wirkliche Überraschungen. Erzählungen geben aber Gelegenheit, über vergangene Ereignisse zu reflektieren, sie durch die Augen einer anderen Person zu sehen. Und sie sind ein Mittel, das sich perfekt für Wagners Leitmotivtechnik eignet, weil sich nicht nur die Interaktion von Personen, Absichten und Ideen insgesamt durch die Nebeneinanderstellung von musikalischen Motiven darstellen lässt, sondern auch die Umformung dieser Motive subtile Nuancen und psychologische Tiefen stärker auszudrücken vermag als alle Worte.
Im Falle von Wotans Erzählung wird der Gott veranlasst, seiner Lieblingstochter seine Seele zu öffnen; ihre Sympathie ermutigt ihn, sich auszusprechen und sein Dilemma zu überwinden. Wotan beginnt mit dem Geständnis, wie er die Leere in seinem Leben, verursacht durch den Mangel an Liebe, durch Macht ausfüllen wollte. Seine geflüsterte Rekapitulation (»Als junger Liebe«) kommt im gesamten Werk einem reinen Rezitativ am nächsten, aber sie vergisst keineswegs die Prinzipien der Textvertonung aus Oper und Drama, und sie gewinnt eine besondere Aura der Spannung durch die Begleitung: Kontrabässe allein, pianissimo. Die entsprechenden Motive tauchen auf, als sich Wotan an den Diebstahl des Golds, den Bau von Walhall und den Ring erinnert. Andere Motive kommen zum Vorschein, vor allem die des Fluchs und des Schwerts, die die Erzählung zu einem erregenden Höhepunkt treiben: Wotan hält nur nach einem Ausschau, dem »Ende«.