Siegfried / Handlung
Das Wagner Kompendium, Barry MillingtonEntstehung
Einige vorbereitende musikalische Skizzen für das Werk mit dem ursprünglichen Titel Der junge Siegfried entstanden 1851, aber die eigentliche Kompositions-arbeit wurde 1856 (wahrscheinlich Anfang September) mit dem ersten Gesamtentwurf begonnen. Um die Probleme zu vermeiden, mit denen er bei der Walküre konfrontiert wurde, stellte Wagner jeden Akt vom ersten Entwurf bis zur Partitur fertig, bevor er den nächsten in Angriff nahm. Er arbeitete außerdem gleichzeitig an dem ersten (mit Bleistift geschriebenen) und dem zweiten Gesamtentwurf (mit Tinte geschrieben, auf mindestens drei Notensystemen, zwei instrumentalen und einem vokalen, wobei er Einzelheiten der Orchestrierung ausarbeitete). Im Juni 1857 brach er die Arbeit an den Entwürfen mitten im zweiten Aufzug ab (mit Siegfrieds Betrachtung unter der Linde), teils weil der Ring zu einer finanziellen Belastung wurde, teils auch, weil er den Wunsch hatte, seinen neuen chromatischen Stil am Tristan auszuprobieren. Dennoch nahm er bald danach die Komposition des zweiten Akts für kurze Zeit wieder auf und vollendete den ersten Entwurf am 30. Juli 1857 und den zweiten am 9. August. Erst ab dem 27. September 1864 widmete er sich wieder der Aufgabe, eine Reinschrift des ersten Akts anzufertigen; zwischen dem 22.Dezember dieses Jahres und dem 2. Dezember 1865 arbeitete er an der Partiturerstschrift des zweiten Akts. Die Arbeit am dritten Akt begann am 1. März 1869, nachdem die Reinschrift für den ersten und den zweiten Akt abgeschlossen war. Die Partiturerstschrift des dritten Akts wurde am 5. Februar 1871 vollendet.
Musikalischer Stil
Die zwölf Jahre dauernde Lücke zwischen der Beendigung der Komposition des ersten und zweiten Aufzugs (alles mit Ausnahme der Partitur) und dem Beginn des dritten führte unvermeidlich zu stilistischen Diskrepanzen. Der erste und zweite Aufzug stehen dem Rheingold und der Walküre in ihrer Verwendung von überwiegend kurzen, prägnanten Motiven näher. Im dritten Aufzug jedoch sind - wie in der Götterdämmerung - häufiger ausgedehnte melodische Gedanken zu finden. Selbst wenn Motive des früheren Typs auftauchen, werden sie mit einer neuen Freiheit kombiniert und dienen weniger als vorher einem assoziativen Zweck. Sie führen jetzt ein eigenständiges Leben, und ihr beständiges Wechselspiel erzeugt ein viel dichteres, enger gearbeitetes Gewebe, das deutlich von der Konzentration auf musikalische Werte beeinflusst ist, die den inzwischen entstandenen Tristan kennzeichnet. Die neue Reife wird gleich zu Beginn des dritten Aufzugs deutlich. Das Orchestervorspiel bringt eine meisterhafte symphonische Verarbeitung einer Reihe von Hauptmotiven, vor allem des punktierten Rhythmus, der das Vorspiel durchdringt und auf Wotan, die Walküren und ihren Ritt verweist; das Erda-Motiv und seine Umkehrung, die Götterdämmerung; die erniedrigten Mediantharmonien des Wanderers; der fallende Halbton, der im Rheingold mit Alberich und der unheilvollen Macht des Rings verbunden ist; und das Motiv des Zauberschlafs. Wenn sich der Vorhang hebt, erscheint der Wanderer. Seine Szene mit Erda, der Erdgöttin, ist ein Dialog, in dem das für jede Person charakteristische Tonmaterial variiert wird. Kraftvoll entworfene Gesangslinien, die das Rezitativ zugunsten eines gesteigerten Arioso ganz aufgeben, werden durch ein instrumentales Gewebe von unerhörtem Reichtum und beispielloser motivischer Dichte unterstützt. Die Form droht gesprengt zu werden, wenn sich das Fieber der Emotion steigert - bis zu dem Höhepunkt mit der Ankündigung des Wanderers, dass er nunmehr auf das Ende der Götter warte. Die Feierlichkeit des Augenblicks wird durch ein vornehmes neues Motiv angezeigt; Leitmotive von solcher Ausdehnung und Selbständigkeit werden von nun an im Ring eine wichtige Rolle spielen.